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“Too Asian not Asian Enough”
21 neue Kurzgeschichten aus Großbritannien

Too Asian Not Asian Enough“Too Asian not Asian Enough” ist der Titel einer Anthologie mit 21 neuen Kurzgeschichten von British-Asians mit ganz unterschiedlichen Ausrichtungen. Herausgegeben hat den Erzählband die Schriftstellerin Kavita Bhanot. Im Vorwort schreibt sie: British-Asian Identität, wie wir sie heute kennen, bildete sich in den Neunziger heraus durch erfolgreiche Bücher, Theaterstücke, Filme, Alben, Filme und TV-Shows von British-Asians oder aber über sie. Kavita Bhanot bezieht hier sich etwa auf „The Buddha of Suburbia“ von Hanif Kureishi, „White Teeth“ von Zadie Smith, die von Nitin Sawhney mit geschaffene Comedyserie „Goodness Gracious Me“ oder aber Filme wie „Bend it like Beckham“ und East is East.

Zum ersten Mal, so Bhanot, sahen sich British-Asians im Mainstream repräsentiert, was gut ist, aber jetzt sei es an der Zeit, von den damals etablierten Klischees wegzukommen, die sich für sie so darstellen: in Großbritannien geboren oder aufgewachsen, leiden die Jungen unter der strengen Hand der repressiven Eltern. Diese komischen, meist zugleich miserablen Figuren halten hartnäckig an den Gebräuchen des Landes fest, das sie verlassen haben und das demzufolge in ihrer gegenwärtigen Situation keine Rolle mehr spielt. Sie enthalten ihren Kindern die Freuden und die Normalität des westlichen Lebens vor. Sie lassen sie weder Alkohol trinken noch Fleisch essen. Sie bestehen auf indischer Kleidung und Haarknoten. Die Kinder müssen hart lernen und werden in Karrieren gezwungen, die sie nicht wollen. Liebesbeziehungen sind Fehlanzeige, stattdessen sind arrangierte Ehen vorgesehen. Widerstand wird mit emotionaler Erpressung aber auch physischer Gewalt geahndet.

Sind wir wirklich so? fragt Kavita Bhanot und macht andere Vorschlage mit ihrer Auswahl an Erzählungen, die ein Leben jenseits dieser Klischees zeigen. Der Großteil der Geschichten ist ausgezeichnet geschrieben und die Form der Kurzgeschichte wird souverän beherrscht. Für meist nur wenige Seiten wird man in unterschiedliche Erzählwelten gezogen – lustig, schockierend, bewegend oder zum Nachdenken zwingend.

Neben bekannten Namen wie Gautam Malkani, Nikesh Shukla, Niven Govinden und Bidisha finden sich in dem Band zahlreiche neue Stimmen, manche von ihnen veröffentlichen hier zum ersten Mal.

Anousha Beazley lässt einen ehemaligen Gangleader aus Southhall bei einem Einstellungsgespräch auf eine Frau treffen, die er als Jungendlicher vergewaltigt hat. Was aus dieser Situation wird, lässt sie offen. „Iron Nose“ schildert das Freitagabendvergnügen von erfolgreichen Asian Mittelständlern in knapper, nüchterner Sprache. Gautam Malkani macht sich in absurder Art über die Gewinner des „Asian of the Month“-Wettbewerbs lustig. Ein verlassener Ehemann rächt sich mit Pizzaabfall in der Einfahrt seiner Exfrau. Rajeev Balasubramanyam entfaltet in "Tablet of Bliss" eine amüsante Fantasie, in der David Beckham zum fanatischen Kriegsgegner wird. Bidisha’s Erzählung „Dust“ ist eine nahe gehende Geschichte, die zeigt, wie gut sich Gewalt hinter der Fassade von Normalität verbergen kann. Aufregend gleich die erste Geschichte, deren Protagonistin eine Frau mit bipolarer Störung in einer Psychiatrie ist und die eine höchst überraschende Wende nimmt. Das muss man erstmal hinkriegen auf nur 12 Seiten.

Das sind nur einige Streiflichter auf die 21 Erzählungen. Am Ende des Buches gibt es kurze biographische Notizen zu allen Autoren mit Hinweisen auf ihre weiteren Publikationen, so dass man weiterlesen kann, wenn Geschichten gefallen haben.

Erstaunlicherweise ist die Erzählung der Herausgeberin am konventionellsten, aber das fällt bei der Fülle der Auswahlmöglichkeiten nicht ins Gewicht. Das Verdienst dieses Bandes ist es auch, diese Autorinnen und Autoren hier bei uns bekannter zumachen. Dem Guardian war der Erzählband nur ein Verriss wert: Nach der Lektüre des Buches kann ich nicht verstehen weshalb. Im Gegenteil, ich glaube, über kurz oder lang werde ich das Buch ein zweites Mal lesen.

Too Asian Not Asian Enough, 21 Erzählungen. Hrsg: Kavita Bhanot Tindal Street Press 2011
©Petra Klaus

 


Jhumpa Lahiri
„Einmal im Leben“

Jhumpa Lahiris Bücher sind immer etwas traurig und melancholisch. Der Erzählband „Melancholie der Ankunft“ war so, auch der Namensvetter und jetzt „Einmal im Leben. Eine Liebesgeschichte, wie es im Untertitel steht. Es ist auch mehr eine Geschichte als ein Roman. Entnommen wurde sie dem Erzählband „Unaccustomed Earth“ mit insgesamt acht Erzählungen. „Unaccustomed Earth“ ist auch der englische Titel von „Einmal im Leben“.

Hema und Kauschik lernen sich als Jugendliche kennen, Hema ist eigentlich noch ein Kind. Kauschik und seine Eltern sind nach mehreren Jahren in Bombay nach Massachussetts zurückgekehrt und wohnen vorübergehend bei Hema und ihrer Familie, bis sie ein eigenes Haus gefunden haben. Hema verliebt sich in Kaushik, der davon nichts merkt und auch nichts merken soll. Hema findet Kaushiks Eltern so viel moderner als ihre eigenen. Erst später erfährt Hema, dass Kaushiks Mutter unheilbar an Krebs erkrankt ist und die Choudhuris wegen der besseren medizinischen Möglichkeiten in die USA zurückgekehrt sind. Diesen Teil erzählt Hema aus ihrer Perspektive in der Ich-Form. Hema und Kaushik verlieren sich aus den Augen.

Wenige Jahre nach dem Tod seiner Frau heiratet Kaushiks Vater wieder, aber Kaushik kann mit der traditionellen Chitra und ihren zwei Töchtern nicht viel anfangen. Am Neujahrstag kommt es zum Eklat, als er die kleinen Mädchen dabei ertappt, wie sie sich Fotos seiner toten Mutter ansehen. Er verlässt das Haus im Streit, praktisch für immer. Das ist eine sehr knappe Zusammenfassung eines Teils, in dem Kaushik ausführlich aus seiner Perspektive sein College-Leben und das Zusammentreffen mit seiner neuen Familie schildert, immer geprägt durch die Trauer um seine Mutter. Hema kommt in seinen Schilderungen gar nicht vor.

Nach seinem Collegeabschluss macht Kaushik eine ausgedehnte Reise durch Südamerika und beginnt, als Fotograf seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Zwanzig Jahre später treffen sich Hema und Kaushik zufällig in Rom wieder. Hema ist inzwischen Professorin für Archäologie. Sie täuscht ein Forschungssemester in Rom vor, um noch etwas Zeit für sich zu haben, bevor sie nach Kalkutta weiterfliegt, um Navin zu heiraten. Nach einer zehnjährigen heimlichen Beziehung zu einem verheirateten Amerikaner flüchtet sie sich in die Vernunftehe mit Navin.

Kaushik steht am Ende seiner Karriere als Fotojournalist in Krisen- und Kriegsgebieten. Auch Kaushik legt eine Pause ein, bevor er einen festen und ruhigen Redakteursjob in Hongkong antritt.

Hema und Kaushik verlieben sich ineinander und sind so oft zusammen wie möglich. Kaushik bittet Hema, Navin nicht zu heiraten, aber sie lehnt das ab und fliegt nach Kalkutta. Dort angekommen, empfindet sie Abscheu vor Navin. Gleichzeitig lässt seine Anwesenheit ihren Abstand zu Kaushik größer werden.

Bevor Kaushik seine neue Arbeit in Hongkong antritt, macht er einige Tage Urlaub in Khao Lak, wo er im Tsunami umkommt. Dieser gemeinsame dritte Teil der Geschichte ist in der dritten Person erzählt. Erst ganz zum Schluss kommt wieder Hema alleine zu Wort.

Zurück in den USA, erfährt Hema von Kaushiks Tod. Sie verbirgt ihre Trauer und Depressionen, indem sie Unwohlsein in ihrer Schwangerschaft vorgibt und tagelang sprachlos im Bett verbringt. Die Vernunft hat gesiegt, aber um welchen Preis?

Eine traurige Liebesgeschichte. Eine ähnliche Konstruktion gab es schon in der Namensvetter: Zwei Menschen, die sich die sich von Kindesbeinen an kennen, begegnen sich als Erwachsene, verlieben sich ineinander und gehen wieder auseinander.

Jhumpa Lahiri hat eine sehr nüchterne Art zu schreiben. Sehr unsentimental. Wahrscheinlich ist so die Melancholie der Geschichte besser zu ertragen.


Jhumpa Lahiri:  Einmal im Leben, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008
©Petra Klaus


 

Jhumpa Lahiri
Kleine Geschichten

Der Band mit Erzählungen der indisch-amerikanischen Autorin Jhumpa Lahiri – kleine unspektakuläre Episoden oder Szenen aus dem Leben von Leuten, die nicht unbedingt das große Los gezogen haben.

Jhumpa Lahiri wurde 1967 als Tochter bengalischer Eltern in London geboren. Aufgewachsen ist sie in Rhode Island in den USA. Sie studierte Literaturwissenschaft und lebt heute in New York.

Titelbild Mellancholie der AnkunftPassend zu ihrer Lebensgeschichte bewegen sich ihre Erzählungen zwischen der indischen und der westlichen Welt, erzählen vom Leben  der Einwanderer in den USA und beschreiben Besuche von Emigrierten in Indien.

Die Professorengattin Mrs. Sen zum Beispiel fühlt sich einsam in ihrer neuen Umgebung in den USA und versucht, soviel wie möglich von ihrem zurückgelassenen Leben auszubreiten. Als sie die Betreuung des elfjährigen Eliot übernimmt, heitert sich ihr Leben etwas auf: Endlich ist tagsüber jemand da, um den sie sich kümmern kann und der sie mag. Aber die schöne Zeit dauert nicht lange: Mrs. Sen fährt ohne Führerschein und baut einen Unfall. Darauf darf Eliot nicht mehr zu ihr kommen.

Twinkle und Sanjeev kannten sich erst seit kurzem, als sie heirateten; es war keine arranged marriage. Das junge indisch-amerikanische Paar kauft ein schönes, repräsentatives Haus in Connecticut, das sich als wahre Fundgrube christlicher Devotionalien erweist: Heiligenstatuen, Jesusposter, Mariafiguren in absurden Mengen. Sanjeev versteht Twinkle nicht, die entgegen der gemeinsamen hinduistischen Tradition das Haus mit Symbolen der christlichen Religion dekoriert.

Drei der Erzählungen spielen in Indien. Die 62jährige Boori Ma hat nach ihren Worten in Kalkutta ein luxuriöses Leben geführt, bevor sie von dort vertrieben wurde. Jetzt verdient sie sich als Treppenhausfegerin in einem großen Mietshaus das Nötigste zum leben und haust unter der Briefkastenanlage. Die gutmütigen Bewohner des Hauses sind die phantastischen Ausschmückungen von Boori Mas früherem Leben in Kalkutta gewohnt und nehmen sie nicht weiter ernst. Als im Haus kräftig renoviert wird, vernachlässigt Boori Ma ihre Arbeit. Dann wird im Haus etwas gestohlen und die Mieter jagen Boori Ma davon.

Mehr Glück hat Bibi Halder. Die Epileptikerin wird von Verwandten wie eine Gefangene gehalten und nach Kräften in deren Kosmetikladen ausgebeutet. Ihr Wunsch zu heiraten wird als völlig absurd abgetan. Als der Kosmetikladen Bankrott geht, machen sich die Verwandten aus dem Staub und lassen Bibi Halder einfach zurück. Die Nachbarn entdecken eines Tages, dass Bibi schwanger ist und kümmern sich um sie. Als ihr Sohn geboren ist, helfen sie ihr, den Kosmetikladen wieder in Schwung zu bringen. Wer der Vater des Kindes ist, weiß keiner. Bibi Halder ist jedenfalls geheilt.

Jhumpa Lahiri:  Melancholie der Ankunft, Karl Blessing Verlag, München 2002, 9 Euro
©Petra Klaus, Programmheft Radio X, Dezember 2002

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