besprechungen

 

 

 


 

Akram Khan
Vertical Road

Akram KhanAm 16. und 17. Mai 2011 trat die Akram Khan Company mit ihrer aktuellen Produktion „Vertical Road“ im Frankfurt Lab auf. Der britisch-indische Choreograph Akram Khan selbst war leider nicht dabei, sonst hätten wir gerne mit ihm gesprochen. Die zwei Abende im Frankfurt LAB in der Schmidtstraße waren komplett ausverkauft, was zeigt, dass dieser Ort für Auftritte von solch internationalem Rang einfach zu klein ist.

Vertical Road“ ist ein sehr intensives, heftiges Stück, das wenig mit Choreographie im klassischen Sinn zu tun hat. Oft ist es düster, was noch unterstrichen wird durch den mächtigen Soundtrack von Nitin Sawhney, der manchmal zu laut aus den Boxen dröhnte – Absicht oder Versehen? Schon für etliche Produktionen von Akram Khan hat Nitin Sawhney den Score geschrieben. Für Vertical Road präsentiert er eine Fülle von Geräuschen, Harmonien, Frequenzen, Beats, Rhythmen. In allem ist die Handschrift des preisgekrönten britischen Musikers unverkennbar. Nur in wenigen Passagen aber erreicht der Score songhafte Höhen, die dann aber besonders schön sind. Lieder passen ohnehin nur selten zu „Vertical Road“.

Die acht Tänzer der Company bewegen sich häufig zusammen als Gruppen, nur manchmal in der Mitte der Bühne, dem klassischen Tanz schon verpflichtet, aber oft mit extremen, fast akrobatischer Körperbeherrschung. So robben die Tänzer über den Boden, zucken im Rhythmus der Musik.

Der heiterste Part erscheint gegen Ende des Stückes. Die Truppe bewegt sich tänzerisch leicht, verfällt ab und zu in die gleichmäßigen Bewegungen der drehenden Derwische.

Inspiriert zu „Vertical Road“ wurde Akram Khan durch die Sufi Tradition und den  persischen Poeten und Philosophen Rumi. Das Stück erforscht die weltliche Natur des Menschen, seine Rituale und die Konsequenzen seines Handelns und wird dabei zu einer Meditation über den Übergang vom Irdischen zu spiritueller Transzendenz.

Mit Vergleichen könnte man es sich einfach machen. Das Stück wirkt in seiner Heftigkeit manchmal alttestamentarisch absolut: Die sich rhythmisch bewegenden Tänzer erinnern an die unterirdisch Geschundenen in Metropolis, die sich rhythmisch bewegenden Arbeiter - Assoziationen, die sich aufdrängen.

In der Interaktion der Künstler geht es um Anziehung und Abstoßung, um Beherrschung und beherrscht werden, wobei „Vertical Road“ starke erzählerische Komponenten hat. Das Zusammenspiel der Tänzer nimmt manchmal fast szenische Züge an und bekommt schauspielerische Akzente.

Auch ohne nähere Hintergründe zu kennen, strahlt das Stück aus, dass es um Existentielles geht, um existentielle Krisen. Ob am Schluss wirklich so etwas wie eine Erlösung steht, ist mir allerdings unklar. Ich denke eher, dass es bei der Suche bleibt.

Akram Khan: Vertical Road - Eine Veranstaltung des Künstlerhaus Mousonturm

 

 


 

ARE YOU EXPERIENCED? 
mit "Nasha Experience" auf der Biennale in Bonn 13. Mai 06

 

 

Eigentlich ist das Bonner Opernhaus anderes gewohnt, eher La Traviata, die an diesem Abend aufgeführt wurde oder eine Inszenierung namens Meinhof. An diesem Abend passierte im Raucherfoyer aber etwas ganz außergewöhnliches. Für die Eröffnungsparty der Biennale mit Indien-Schwerpunkt hatte die Festivalleitung Nasha Experience aus London eingeladen und hätte für diesen Abend gar keine bessere Wahl treffen können.

Die DJs und Produzenten Osmani Soundz und Ges-E und Tabla-Wizzard Aref Durvesh inszenierten eine perfekte Partynacht. Die Nasha Crew begrüßte das Publikum mit Downtempo-Tracks, zu denen selbst die indische Botschafterin in Deutschland ihre Schultern wiegte. Natürlich enthielten die Tracks immer Elemente aus der indischen klassischen oder aus Bollywoodsoundtracks. Dann der erste Break: Aref Durvesh, der im Schneidersitz auf dem DJ-Pult hinter seinen Tablas saß, rief alle zu sich, alle sollten näher kommen. Und dann legte er los. In einem atemberaubenden Tempo rasten seine Finger über die Tablafelle, mit dem Handballen der linken Hand schob er die Basstöne über die größere Trommel. Das Publikum rückte noch näher, um möglichst genau zu sehen, wie die rasanten Rhythmuspatterns unter Arefs Fingern entstanden. Ges-E verfremdete das Tablaspiel geschickt durch Effekte am Mischpult. Vermutlich erlebten viele zu ersten Mal, was man mit Tablas noch alles anstellen kann außer klassische Musik zu spielen. Die Leute wussten spätestens jetzt, dass sie auf der richtigen Party waren, und applaudierten begeistert: das war live, das war indisch.

Aref hatte mit seinem Tablasolo die Leute praktisch auf den Dancefloor getrieben. Osmani Soundz spielte als nächstes seinen eigentlich recht langsamen Track "Village Vibez" und die Leute fingen an zu tanzen und sollten bis zum Ende der Party nicht mehr aufhören. Niemand konnte sich dieser ausgeklügelten Partydramaturgie entziehen. Einen Set lang wiegte Ges-E die Tänzer mit geraden Beats in Sicherheit, so lange, bis alle in absoluter Tanzstimmung waren. Dann kam der nächste Break. Arefs Tablabeats trieb die Tänzer förmlich in Richtung Drum&Bass.

Nach seinem Solo begleitete Aref noch einige Tracks. Ges-E zog das Tempo immer mehr an. Jetzt war die Party in vollem Gange und es gab kein zurück mehr. Der erste Drum&Bass-Track brach über die Partymenge herein. Die Nasha Crew war in ihrem eigentlichen Feld, dem d&b angelangt und sollte für den Rest des Abends dort bleiben. Mit dem Aufbau ihrer Sets verführten sie das Publikum regelrecht zum d&b. Bemerkenswert und erstaunlich ist auch, dass kaum einer der Partygäste irgendeinen der Tracks kannte. Alle stammten aus dem Nasha-Studio, wo mittlerweile so viele Tracks produziert werden, dass man sich schon auf die nächsten Nasha-Partys freuen kann.


 

IMPORT EXPORT
Gruß aus dem Dabba
Wege des Kulturtransfers zwischen Indien und Deutschand

 

 

ImportExport beschäftigte sich mit den politischen Dimensionen des Kulturtransfers und den kulturellen Besonderheiten von Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und Deutschland. Kuratiert wurde das Festival von den Filmemacherinnen und Autorinnen Dorothee Wenner und Merle Kröger, die auch mit dem Film "Starbiz" vertreten waren. Das "Berlin Chapter" war der dritte Teil der Reihe, die im März in Bombay startete, um dann über Wien nach Berlin reisen, immer ein feststehendes Filmprogramm im Gepäck, während die Symposien von Ort zu Ort variierten. In Berlin lag der Schwerpunkt auf den Repräsentationen indischer Diaspora in Deutschland. Dabei wurden nicht die offiziellen Beziehungen auf staatlicher Ebene betrachtet sondern vielmehr die informellen Strukturen und Gebilde. So widmete sich ein Nachmittag dem Internetportal theinder.net, das 2005 seinen fünften Geburtstag feierte und als Kommunikationsplattform für Menschen aus der zweiten Einwanderergeneration - nicht nur aus Indien - eine prominente Rolle spielt. Bijon Chatterji und zwei Freunde gründeten im Jahr 2000 theinder.net als Antwort auf die christdemokratische Kampagne "Kinder statt Inder" und schufen damit die Basis für eine neue Art von Community, die sich im virtuellen Raum bewegt und deren Kernstück das Forum mit 1300 regelmäßigen Usern ist. Die Indian Online-Community funktioniert allerdings auf Dauer nur dann, wenn sie durch Offline-Treffen abgesichert ist, was möglicherweise auch erklärt, warum der Veranstaltungskalender der meistfrequentierte Teil auf der Seite ist.

Während sich die zweite Generation ihre eigene Kommunikationsstruktur geschaffen hat, sieht es in der Fernsehlandschaft eher düster aus. Navina Sundaram arbeitet seit 1963 für die ARD, teilweise für die Redaktion Weltspiegel. In der Zeit vom 2001 bis 2005, so ihre Recherche, widmete der Weltspiegel Indien elf Beträge, die sich thematisch um die Enttäuschung der indischen Christen nach der Papstwahl, New Delhis neue U-Bahn oder die Nationalstraße zwischen Riapur und Bombay drehten, berichtete aber nicht über den staatlich geduldeten Genozid in Gujarat oder den Hindufundamentalismus. "Was früher als außenpolitische Sendung galt, ist zu einem Hochglanz-Reisemagazin mutiert", so das Fazit von Navina Sundaram. Während BBC-World und CNN schon längst mit indischen, afrikanischen, asiatischen oder karibischen Nachrichtensprechern, Reportern und Moderatoren arbeiten, weigere sich die ARD auch hier, veränderten gesellschaftlichen Realitäten Rechnung zu tragen.

In einem sehr unterhaltsamen und gleichermaßen informativen Filmvortrag zeigten die Filmkritikerin Menakshee Shede und der Filmwissenschaftler Vinzenz Hediger anhand dreier deutscher Filme - zweimal "Der Tiger von Eschnapur" und einmal "Das indische Grabmal" - das deutsche Indienbild in der Zeit zwischen 1920 und 1960. Sie sehen die Filme als "koloniale Wunschvorstellungen" eines Landes, das selbst kein Imperium in Übersee sein Eigen nennen konnte. Im Gegensatz zu manchen Romanen des 19. Jahrhunderts liefere keiner der drei Filme brauchbare Informationen über Indien. Sie schwelgen in Exotik und Erotik und dienen eher dazu, auf Kosten Indiens ein positives Deutschlandbild zu konstruieren. Bezeichnenderweise werden alle indischen Hauptrollen von Deutschen mit dunkel geschminkten Gesichtern gespielt, während die "echten" Inder im Hintergrund als Statisten für die Postkartenidylle herhalten müssen. Alle drei Filme, so fassen Shedde und Hediger zusammen, sind offen rassistisch und paternalistisch.

Im Gegensatz dazu arbeitete die deutsch-indische Kooproduktion "Die Leuchte Asiens" unter der Regie von Franz Osten und Himansu Rai durchweg mit Inderinnen und Indern in den Hauptrollen. Der 1925 entstandene und selten gezeigte Film lief im Filmprogramm von ImportExport. "Die Leuchte Asiens" erzählt die Lebensgeschichte des Gautama Buddha und war Mitte der Zwanziger Jahre sehr erfolgreich in Deutschland, wo "Siddharta" von Hermann Hesse den Weg für die Thematik bereitet hatte.

Eine Diskussion um Kulturtransfer setzt sich zwangsläufig auch mit den Folgen von Globalisierung auseinander. Der in Bombay lebende Kulturbeobachter Vinay Choudary lotete in seinem Vortrag "Message from the Dabba" die vielfältigen Möglichkeiten des Widerstands von unten gegen die Kräfte der Globalisierung aus. Der Dabba ist eine mehrstöckige Lunchbox, mit dem Wort "Henkelmann" zu unzureichend ins Deutsche übersetzte. In Bombay haben die Dabba-Kuriere, die Dabbawallahs, ein perfektes logistisches System entwickelt, nach dem sie die Dabbas bei den Ehefrauen oder Müttern in den Vorstädten einsammeln, mit dem Zug ins Zentrum transportieren und den hungrigen Gatten pünktlich zur Mittagspause auf den mit Akten überfüllten Schreibtisch stellen. Für Vinay Choudary ist das Dabba-System ein Beispiel dafür, wie auf unterster Ebene intelligente und kreative Formen entstehen können, dem Diktat internationaler Konzerne zu entgehen. Wer ein Dabba bekommt, geht nicht zu McDonalds. Er bezweifelt auch, dass die schwerfälligen, auf Monokultur ausgerichteten multinationalen Konzerne im indischen Markt, der auf kulturellen Dissonanzen und Eigenheiten basiert, auf Dauer wirklich Fuß fassen können. In einem Land mit 330 Millionen Göttern, so Choudary, kann es keine universellen Wahrheiten geben.

Die Kuratorinnen Dorothee Wenner und Merle Kröger bestreiten nicht, dass die Auswirkungen der Liberalisierung des Weltmarktes dokumentiert, kritisiert und bekämpft werden sollen; sie sehen in der Globalisierung aber auch die Chance, bestehende, eingefrorene Bilder zu untersuchen und festgeschriebene Wertigkeiten von Nord und Süd, Europa und Kolonialgeschichte aufzubrechen. In ihrem Film "Starbiz" untersuchen sie das Image der Marke Mercedes in Indien. Das Auto dient als Vehikel, um indische Perspektiven auf Deutschland zu erfahren, aber gleichzeitig erfährt man ebensoviel über Indien selbst - aus dem indischen Blickwinkel.

Auf der abschließenden Podiumsdiskussion ging es überraschend um einen ganz anderen Aspekt. Die EU hat ImportExport anteilig finanziert, weil sie Grassroot-Projekte und ihre Inhalte fördern möchte, setzt aber gleichzeitig so hohe Ansprüche in ihren Förderrichtlinien, dass diese eigentlich nur von arrivierten Organisationen und Strukturen erfüllt können; diese wiederum können aber nicht die gewünschten Inhalte von der "Basis" liefern. Hier gibt es auch eine Message, wenn auch nicht aus dem Dabba, an die Adresse der EU, mit Vereinfachung zu reagieren, damit Projekte wie ImportExport auch in der Zukunft realisiert werden können.

 


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Zum Nachlesen:
Hrsg: A. Schneider, A. Fitz, M. Kröger, D. Wenner, Werkleitz e.V.
ImportExport. Cultural Transfer.
Parthas Verlag Berlin
380 Seiten mit DVD, deutsch/englisch, enthält alle Beiträge der drei Stationen, India, Germany, Austria


 

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