call center

Film

Fr, 22. und Sa, 23. September, jeweils 21.15 h
„John & Jane" von Ashim Ahluwalia, 83 Min, Englisch mit dt. Untertiteln
Kino Orfeos Erben,  Hamburger Allee 45, Frankfurt
Am Freitag mit Einführung durch den Regisseur

 

FILMMAKER'S STATEMENT
von Ashim Ahluwalia

Zum ersten Mal hörte ich 2001 von Call Centern in Indien. Es gab einige Dokumentationen im Fernsehen und Zeitungsberichte darüber, die sich aber meistens mit den wirtschaftlichen Vorteilen und dem Technologiezuwachs beschäftigten. Niemand schien sich für die Menschen zu interessieren, die in den Call centern arbeiten. Mir kam die Vorstellung von virtuellen "Call Agents" mit Schein-Identitäten wie Science Fiction vor. Wer sind diese Inder, die nachts zu Amerikanern werden?

Ich bin im Bombay der 70er und 80er Jahre aufgewachsen, das damals noch ein anderer Ort war. Es gab einen schwarz-weiss Kanal im Fernsehen und einen Auslandsanruf musste man Stunden vorher anmelden. Indiens technologischer Austausch fand vorwiegend mit Russland statt und Coca Cola gab es nur in der indischen Version Thums up!

Ich ging für einige Jahre zum Studium ins Ausland und kam in den 90ern in neues, postliberalisiertes Bombay zurück. Das sozialistische Gefühl war verflogen, es gab neue "Landschaften" mit Shopping Malls und Multiplexkinos. Die Regierung hatte das Land schließlich doch für ausländisches Investmentkapital geöffnet und wir bekamen einen ersten Geschmack von McDonalds. Ich wollte diese Veränderungen dokumentieren, weil mir klar war, dass dieser heikle Moment nicht sehr lange andauern würde. Wie überall in Asien, würde das Universum aus "Amway" und Payback-Karten auch hier bald Alltag werden.

Einen Film in einem Call Center zu drehen, schien mir eine natürliche Art zu sein, einen Blick auf die neue Generation zu werfen, die zukuenftigen Inder, die hier und gleichzeitig im Ausland lebten. Während der Dreharbeiten machten wir unglaubliche Entdeckungen – Charaktere, die zunehmend Schwierigkeiten hatten, zwischen Wirklichkeit und Schein zu unterscheiden.

Die seltsame Natur dieser Welt voller Replikanten diktierte praktisch die Struktur des Films. Es schien keinen Sinn zu machen, einen Call Center Agent im Stil des Cinema Vérité zu portraitieren, wo doch seine Identität schon fingiert war – das ist ja schon Science Fiction an sich. Es schien auch müßig, sich auf nur einen Charakter zu konzentrieren, wenn die Existenz der Call Center Agents schon hochgradig fragmentiert ist:Einer nimmt nur Namen auf, ein anderer nur Zahlen wie z.B. Sozialversicherungsnummern. Da die Call Center in etwa wie ein Bienenstock funktionieren, in denen die Agents Teams bilden und Teamleitern unterstehen, schien es passender zu sein, einen Film über ein Netzwerk von Individuen zu drehen – genau sechs, so groß sind die Teams tatsächlich. In dem Film gibt es drei Sets von Johns und Janes, die in der Reihenfolge ihrer Stellung im Team auftauchen. In diesem Sinn dokumentiert der Film den Übergang vom Inder (schlechtestes Verkaufsergebnis) zum Amerikaner (Top-Verkäufer).

Der Kosmos der Call Center war wesentlich bizarrer als wir uns das vorgestellt haben. In den Centers zu drehen, war nicht einfach, erst recht nicht mit 35 mm und unter den starken Einschränkungen, denen wir unterlagen.

Auf Video zu drehen, wäre einfacher gewesen, aber wir gewannen eine neue, interessante Qualität dadurch, dass wir statisch auf Film drehten und keine Handkamera verwendeten.

Der Film erweckt teilweise das Gefuehl von Fiktion und man fragt sich, was fuer eine Art von "Dokumentarfilm" das wohl sein mag.


„John & Jane""
Beschreibung

In weiten, fluoreszierenden Räumen sprechen Tausende von jungen ambitionierten Indern mit Menschen in Kentucky, Kalifornien oder Idaho. Sie überbrücken Kontinente per Telefon, sie preisen Produkte an und besänftigen die angeschlagenen Nerven der Konsumenten. Während sie sich als Troubleshooter betätigen, träumen sie von Amerika. Während sie träumen, verändern sie sich. Wie ist es, sich in ein fernes Land zu transportieren, das man nie zuvor gesehen hat? Wie fühlt es sich an, soweit außerhalb des eigenen Körpers zu leben? Willkommen in der Welt der Offshore Call Center.

"John & Jane" ist ein erstaunlicher Blick in die Seelen der Outgesourcten. In 35 mm gedreht und mit beunruhigender Grazie komponiert, findet diese Dokumentation eine vollkommen originäre und passende Sprache, um diese unheimliche Ortsveränderung der virtuellen Arbeit auszudrücken. Die Leben, die der Film schildert, sind echt, aber so, wie der Film sich ihnen nähert, gibt er ihnen den Spielraum spekulativer Fiktion.

Glen und Sydney haben westliche Namen angekommen, teils aus Verbraucherfreundlichkeit, teils zu ihrem eigenen Vergnügen. Sie schlafen tagsüber und arbeiten mitten in der Nacht, passend zu US-amerikanischen Geschäftszeiten. Keiner aber von ihnen hat Indien jemals verlassen. Wenn ihre Schicht vorbei ist, kehren Glen und Sydney in ihre, traditionellen indischen Haushalte zurück, die eher einfach sind und wo Mütter sie zum Essen drängen.

Als Teil ihres Trainings lernen sie, welche Bedeutung Arbeit, Geld und Gott für die Amerikaner haben. In Kursen, die man als Satire oder Tragödie auffassen kann, studieren sie Supermarktprospekte, als wären es Lehrbücher. Einige übernehmen amerikanische Werte für sich selbst. Einer träumt davon, eine Villa im spanischen Stil zu kaufen. Ein anderer notiert:"Jeder, der nach Amerika gegangen ist, ist reich geworden."

Der Regisseur Ashim Ahluwalia konstruiert eine Geschichte von Transformationen, die einen mehr und mehr fesselt - trotzdem bleibt Naomi eine echte Überraschung. Blond bis hin zu ihren Augenwimpern, spricht sie mit einer Art Cyborg-Mittelwest-Akzent." "I'm totally very Amercanized." beteuert sie. Ahluwalias volltönendes Portrait zeigt Naomi und ihre Kollegen als Produkte von America aber auch von Indien und ihrer Satelliten-Phantasien.


Cameron Bailey, Toronto International Filmfestival 2005




"John & Jane"
Kurzbeschreibung

Eine frische neue Mischung aus beobachtendem Dokumentarfilm und tropischem Science-Fiction. "John & Jane" folgt den Geschichte von sechs indischen Call Center Agents, die in einem Call Center in Mumbai amerikanische 800-Anrufe beantworten.

Nach einem berauschenden Mix aus "kulturellem Training" und 14-Stunden Schichten verlangt der Job bald seinen Tribut. "John & Jane" entdeckt eine junge Generation von urbanen Indern, die zunehmend zwischen Realität und Virtualität leben.

Allerdings ist diese futuristische Welt von amerikanischen Aliases und simulitierter Realität keine Science-Fiction, wir leben tatsächlich in dieser Zeit. "John & Jane" wirft beunruhigende Fragen über die Natur von persönlicher Identität auf und darüber, was es bedeutet, "indisch" zu sein in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts.


 

 

 

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